Zeit-Genossen
Ein Limesroman von Nils Opitz
372 S. ISBN 978-0591-54-4
€ 10,-
Bestelladresse: neues-literaturkontor@t-online.de
Auf faszinierende Weise verknüpft Nils Opitz
in diesem Limesroman (nicht: Liebesroman) das Schicksal eines jungen Römers mit
dem eines jungen Westdeutschen: Wird der Römer Flavius Acilius als
»Entwicklungshelfer« über den Limes nach Germanien geschickt, so soll der
Westfale Linus Droste beim Aufbau Ost in den Neuen Bundesländern mitwirken. Die
von beiden erlebten Abenteuer, Entbehrungen und Kuriositäten ähneln sich auf
verblüffende Weise...
Der Autor, Mitarbeiter einer Landtagsfraktion, spielt geschickt mit unseren Voreingenommenheiten. Humorvoll spiegelt er die historischen Begebenheiten und führt so auf unterhaltsame Weise die recht unbeholfene Annäherung unterschiedlicher Kulturen vor. »Zeit-Genossen« enthält köstliche Stimmungsbilder der beiden Städte Dresden und Münster: eine Hommage an die großartige und nervenraubende Stadt Dresden und an die schöne und beschauliche Stadt Münster. En passant erfährt der Leser viel über das gut recherchierte Alltagsleben an Limes und Donau und wird über die Parallelen zur Gegenwart schmunzeln.
Eine zusätzliche Portion Spannung erlangt das Buch, indem es sich nach und nach zu einer tiefschwarzen Kriminalgeschichte entwickelt - eine ebenso spannende wie makabre Kriminalgeschichte verhindert, daß der Leser den Roman vorzeitig aus der Hand legt.
Über den Autor:
geb. 1964 in Münster/Westf., Abitur 1983, Polizeiausbildung, Studium der Biologie, Schwerpunkt Pflanzensoziologie/Geobotanik, Diplom 1990.
Berufseinstieg 1992 in Dresden (mit Osttarif 60 Prozent), als Parlamentarischer Berater im Sächsischen Landtag, zuständig für Umwelt, Landwirtschaft, Energie und Verkehr.
Seit 1995 schriftstellerisch tätig, Kurzgeschichten (unveröffentlicht).
Sein erster Roman »Zeit-Genossen« erscheint
1999 zur Frankfurter Buchmesse und ermuntert auf humorvolle und sehr geschickte
Weise zu einer gelasseneren Betrachtung des Vereinigungsprozesses.
Der
Speer traf gut, genau ins Herz. Flavius fiel und rutschte soweit ins Wasser
hinab, daß der Fluß ihn schließlich griff und die Strömung ihn langsam
fortnahm.
Sein Todestraum, schon jenseits der Schmerzen und der Kälte des braunen
Wassers, führte ihn in den sonnendurchfluteten Olivenhain hinter seinem
Elternhaus in Follonica nahe dem Meer zwischen Livorno und Rom.
Seine Mutter deckte gerade die lange Tafel für die Hochzeitsfeier, er wienerte,
schon leicht beschwingt vom Rotwein, seine Legionärsuniform und den neuen Helm.
Laelia, seine Braut, war fürchterlich aufgeregt. Das ließ sie aber nur noch
schöner aussehen.
Ein Lächeln trat auf sein Gesicht.
Und so trieb Flavius Acilius, erster Legat des Prätor peregrinum, des
Rechtspflegers für Angelegenheiten zwischen Römern und Nichtrömern des
Legionärslagers Castra Regina (des heutigen Regensburg) die Donau abwärts. Der
Fluß war gut gefüllt und eilte schneller und munterer als in anderen Frühjahren
Richtung Osten, denn in den Mittelgebirgen südlich des Limes hatte die
Schneeschmelze begonnen.
Drei Tage später, an einem milden und sonnigen Märzabend des Jahres 194 der
gregorianischen Zeitrechnung, erreichte Flavius Acilius, friedlich lächelnd und
tot, das Schwarze Meer.
Ein steter Nordwind trieb ihn die Küste entlang. Einmal fuhr ein römisches
Handelsschiff dicht an ihm vorüber. Ein kleines Mädchen, das mit ernster Miene
am Bug stand, entdeckte ihn und schüttelte stumm und mißbilligend den Kopf.
Bei Midia verhakte sich das Pilum, das noch immer fest in seiner Brust steckte,
in der Ankerkette eines kleinen ägyptischen Gewürzschiffes. Dieses nahm Flavius
mit sich, bis weit hinein ins westliche Mittelmeer vor Rom. Niemand an Bord
bemerkte, daß eine Handbreit unter der Wasserlinie ein lächelnder Leichnam
neben dem Boot herglitt. Erst als eine leichte Westbrise aufkam und die See
unruhig wurde, löste sich Flavius von der schweren Ankerkette und trieb, mehr
unter als über Wasser, an die Küste.
Linus lehnte sich
zurück und sah aus dem Fenster. Er dachte an das Vorstellungsgespräch, das erst
vor zwei Wochen stattgefunden hatte. ...
Nach
einer eher unruhigen Nacht im unbequemen Hotelbett betrat er pünktlich um zehn
Uhr ein schlichtes Büro in der Landesparteizentrale, von den drei
Schreibtischen war einer offenbar noch unbesetzt. Der Blick aus dem Fenster
hätte nicht schauriger und trister sein können: Nur einige Meter entfernt
erstreckte sich in alle Richtungen eine eintönige und heruntergekommene graue
Putzwand mit häßlichen schmutzigen Gitterfenstern. »Wird sicherlich bald
abgerissen«, dachte Linus. Er konnte noch nicht wissen, daß es sich um die
Ostfassade des ältesten deutschen Stahlskelettbaues handelte. Und natürlich
wurde es aus Denkmalschutzgründen auch nicht abgerissen, sondern sollte im
Gegenteil für Jahre seinen Blick auf die Elbe erfolgreich blockieren. ...
Zum
Glück unterlief ihm der Fehler, der ihm abends zuvor im Hotel mehrmals passiert
war, nun nicht. Ellen hatte ihn mit Standardfragen traktiert, damit er flüssige
Antworten einüben konnte, denn er wollte nichts Wesentliches vergessen. Dabei
war ihm immer wieder im Eifer des Gefechtes »bei uns in Deutschland machen wir
das soundso...« herausgerutscht. »Bei uns in Deutschland«. Linus und Ellen
mußten zwar darüber lachen, denn natürlich fühlten sie sich hier in gewisser
Weise wie im Ausland. Aber er durfte nicht darauf zählen, daß sein ostdeutsches
Gegenüber über einen solchen Ausrutscher ebenfalls lachen würde.
Und so
hatte er schließlich 30 mal hintereinander geübt: »Bei uns in
Nordrhein-Westfalen, bei uns in Nordrhein-Westfalen, bei uns in
Nordrhein-Westfalen...«
Offensichtlich hatte er sie überzeugt. Nur fünf Tage später hatte Heimler ihm
telefonisch mitgeteilt, daß er den Zuschlag bekommen hatte. Und morgen war sein
erster Arbeitstag.
Colonia
Agrippina beeindruckte Flavius. Die Vielzahl großzügiger römischer Bauten, der
zentrale Platz mit seinen Tempeln, der großen Säulenhalle, dem Triumphbogen und
den langen Säulenreihen ließ ihn fast vergessen, daß er hier in Germanien war.
Auf den Straßen herrschte reges Treiben. Als es zu dämmern begann, gingen
Gundalf und Flavius gutgelaunt durch die Straßen. Nach einem kräftigen
römischen Essen mit viel warmem Wein in einer überfüllten Taverne kehrten sie noch
bei Fregard, einem germanischen Wirt, ein und tranken einige Krüge guten,
kalten Bieres. Erstaunlicherweise saßen hier besonders viele Römer, wohingegen
Flavius in der römischen Taverne viele vornehme Germanen aufgefallen waren.
Tags darauf brachen sie in Richtung Norden auf. War Colonia noch eine
beeindruckende und sehr belebte römische Kolonie, in der man außer
Geschlechtskrankheiten wenig zu befürchten hatte, bewegten sie sich nun
jenseits der Außengrenze des Orbis romanum und drangen weit ins Gebiet der
Brukterer und Angrivarier ein. Die Landschaft war leicht hügelig, und der Wald
schien immer dichter zu werden. Flavius wußte, daß irgendwo hier vor
zweihundert Jahren drei Legionen unter Varus in den Sümpfen gefallen waren und
daß dies den Wendepunkt in der römischen Expansionspolitik bedeutet hatte. Die
Vorverlagerung des Schutzwalls, an der sein Großvater mitgewirkt hatte, war nur
eine strategische Frontverkürzung gewesen. Nirgendwo sonst am Rande des Orbis
romanum hatten soviele römische Soldaten ihr Leben gelassen, und in keinem
anderen Grenzbereich blieb es so anhaltend unruhig. Wenige unkriegerische
Jahrzehnte wurden dann um so jäher von großen Einfällen über den Limes beendet.
...
Die ebenso
gelangweilte wie langweilige Verkäuferin interessierte sich offensichtlich
nicht für Linus. Sie packte irgendwelche Kästchen und Kistchen mit neuem Tand
aus und beschriftete lustlos kleine Preisschildchen. Fast wie im Osten, dachte
Linus einen Moment, aber sofort war ihm klar, daß das inzwischen in Dresden
eigentlich kein typisches Problem mehr war. Er räusperte sich leicht, aber
unüberhörbar. Dann stellte er die Flasche noch einmal auf die Theke neben die
Kasse, diesmal geräuschvoller als beim ersten Mal. Die Langweilige sah kurz zu
ihm herüber, dann wandte sie sich wieder wortlos ihrer Arbeit zu. »Ich würde
gerne bezahlen«, sagte Linus nun höflich, aber bestimmt.
Ohne
sprachliche Absonderungen irgendeiner Art drehte die Frau sich unwillig zu ihm,
nahm die Flasche, und riß das aufgeklebte Preisschildchen herunter.
»Einpacken?« fragte sie unwirsch und genervt.
»Ja
bitte, und wenn Sie das Preisschildchen dann auch vorher noch bitte richtig
entfernen«, gab Linus zurück, dessen Lust, freundlich zu bleiben, langsam
schwand. Auf der Flasche klebte immer noch dieses vergleichsweise viel zu große
Preisschild, nur der Preis war nicht mehr drauf, denn das schlaue Fräulein
hatte bloß die obere Papierschicht abgerissen. Eigentlich nahm Linus es sonst
nicht so genau, aber er wollte sich nicht dermaßen schlampig bedienen lassen.
Sie sah ihn nicht an, sondern machte umständliche Anstalten, die Flasche
einzupacken.
Die
beste Verkäuferin Deutschlands hatte jetzt ein großes Packpapier auf der Theke
ausgebreitet. Dann nahm sie einen kleinen Lappen und tränkte ihn mit einem
Lösungsmittel, um das Preisschildchen zu entfernen. Es geht also doch, dachte
Linus gerade, als sie sich einen ihrer langen Fingernägel abbrach. Fluchend
verschwand sie nach hinten in einen anderen Raum. Linus sah sich gereizt im
Laden um, hinter ihm standen inzwischen drei andere Kunden und sahen ihn
genervt an. Immerhin las er aus ihren Mienen, daß ihr Unmut sich ebenfalls auf
die Verkäuferin richtete, und nicht auf ihn. Endlich kam die Frau mit dem
abgebrochenen Fingernagel zurück und begann mit dem Einpacken. Dafür nahm sie
zunächst den Stopfen oben ab und wickelte ihn separat ein. Das machte sie alles
so umständlich und linkisch, daß es Linus schon überall juckte. Gequält
verfolgte er jede ihrer Bewegungen, alles schien in Honig getaucht, jede Bewegung
war zäh und langsam, alles mußte sie zweimal machen, weil es im ersten Anlauf
schiefging.
Endlich
war auch die lange Flasche eingewickelt und mit viel Klebeband verpackt. Dann zog
die beste Verkäuferin aller UNO-Mitgliedsstaaten seufzend eine Plastiktüte
unter der Theke hervor und steckte, oder besser stopfte, die verpackte Flasche
hinein. Dabei machte es laut und gedämpft, aber irgendwie gläsern, 'Knack'...
Prosa
im Neuen Literaturkontor HOME
Neues Literaturkontor