Die Stunde des HERRN

Kriminalroman von Ralf Ströcker

128 S.   I SBN 978-3-920591-30-8

€ 9,-

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»Was ist schon der Raub einer Kollekte gegen die Gründung einer Kirche!« (frei nach Bert Brecht)... Und was ist schon die Veruntreuung von Spendengeldern für das christliche Entwicklungshilfeunternehmen Terra Incognita gegen die horrenden Summen, die dem Kirchengründer Reverend Peter M. Tucker allsonntäglich in der Stunde des Herrn zufließen?

Dieser Kirchen-Kriminalitäts-Roman des Arnsberger Autors Ralf Ströcker beleuchtet eine wahrhaft krimiwürdige Szenerie: das vielfältige Geschäft mit der Religion. Wie sagt doch Reverend Tucker: »Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon! Drum löst Euch von dem, was sich zwischen Euch und den Herrn geschoben hat! Löst Euch vom Mammon!«

Um diese Loslösung vom Mammon zu fördern, können durchaus gewisse Hilfsmittel von Nutzen sein - etwa automatische Waffen und schnelle Personenwagen der Oberklasse...
 

»Eine amüsante Geschichte... Seinen zum Teil satirisch-ironischen Roman versteht der Autor nicht als Infragestellen von Glaubensinhalten...« (Westfalenpost).
 

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Leseprobe aus dem 1. Kapitel des Kriminalromans "Die Stunde des  HERRN" :

Geben ist seliger denn nehmen

Nur noch zwei Kirchen mußte er abkassieren. Dann wurde es Zeit, die Gegend und die Methode zu wechseln. Dennoch - auf den nächsten Sonntag, auf die Kirche von Reverend Peter M. Tucker, freute er sich besonders.

Waren alle anderen Kirchenbesuche bislang bloße, wenn auch für den Lebensunterhalt notwendige Fingerübungen gewesen, so würde Reverend Tuckers Kirche Kür und krönender Schlußpunkt zugleich sein. Sie würde ihm ein so reichhaltiges Polster bescheren, daß er sich für lange Zeit um so profane Dinge wie den täglichen Gelderwerb keinerlei Gedanken mehr machen mußte. Er konnte an diesem regnerischen und windigen Palmsonntag noch nicht ahnen, daß der Coup in Reverend Tuckers Kirche am Ostersonntag ein Höhepunkt ganz eigener Art in seiner Laufbahn werden würde.

Noch glaubte er, alles würde sich so abspielen, wie er es bislang gewohnt war. Glatt und reibungslos. Seine bisherigen Vorbereitungen hatten ihn in diesem Glauben bestärkt. Die wöchentliche Abendandacht in der Kirche von Reverend Peter M. Tucker am letzten Mittwoch, verheißungsvoll Stunde des Herrn genannt, war ausgesprochen gut besucht gewesen. Zwanzig Minuten vor Beginn der Andacht hatte er gerade noch ganz hinten in der kleinen Kirche einen Stehplatz erwischt.

Wie voll würde es erst bei der Stunde des Herrn am nächsten Sonntag sein? Und wo viel Volk ist, wird viel gespendet. Erst recht bei einem dermaßen begnadeten, charismatischen Prediger wie Reverend Peter M. Tucker.

Ein gewisses Risiko war eine überfüllte Kirche für seine derzeitige Erfolgsmethode dennoch. Der alles entscheidende Fluchtweg konnte versperrt sein. Aber dieses Problem war lösbar: Er war flexibel und konnte, wenn es darauf ankam, sehr gut improvisieren. Am nächsten Mittwoch würde er noch einmal die Abendandacht besuchen, um sich einen letzten Überblick über die Lokalität zu verschaffen. Danach konnte er anfangen, einen Plan für den Ostersonntag auszutüfteln. Sein gängiges Muster müßte er wahrscheinlich nur leicht modifizieren.

Ein wenig ärgerte es ihn in diesem Augenblick schon, daß er heute keine Zeit für die Stunde des Herrn hatte. Doch die katholische Pfarrkirche von St. Antonius, sein einziges Gastspiel in einer Duisburger Kirche, in der gerade die Gemeinde nach der Palmprozession in den Sitzbänken Platz genommen hatte und das Hochamt mit lautstarker Orgeluntermalung seinen Lauf nahm, war wegen der anstehenden Fastenkollekte auch nicht zu verachten - obgleich die Kollekte bei weitem nicht an das Einspielergebnis von Reverend Tucker herankommen dürfte. Nein, Tuckers Kirche würde Krönung, Höhepunkt und Schlußakkord in einem sein.

Danach hieß es, schleunigst aufzuhören, obwohl er nicht glaubte, daß die Polizei ihm schon allzu dicht auf den Fersen war. Er hatte den Kreis immer sehr weit gezogen, war über die Lande gegangen. Vor Weihnachten St. Paulus in Düsseldorf. Die Adventskollekte. Ende Januar St. Ignatius in Essen-Werden. Die Aufbaukollekte des Kirchenbauvereins. Vor drei Wochen St. Thomas im Mülheimer Norden. Die jährliche Patronatskollekte.

Und jetzt betete er in den kühlen, dunklen Hallen von St. Antonius um eine reiche Ernte; dem Priester, der den Gläubigen trotz wirtschaftlich schlechter Zeiten ein großherziges Fastenopfer anempfahl, aus voller Überzeugung beipflichtend.

Dafür, daß er für die ertragreiche Fastenkollekte eine Vorortgemeinde wie St. Antonius gewählt hatte und keine der großen, imposanten Kirchen im Zentrum von Duisburg, gab es einige plausible Gründe.

Zum Beispiel die Örtlichkeit: In dem rechteckigen Kirchenschiff konnte er auf der Frauenseite hinten links sitzen, keine vier Meter von der nach außen zu öffnenden Ausgangstür entfernt. Aus den Erfahrungen der letzten Monate wußte er, daß dies der günstigste Ort war.

Die Kirche war gut besucht, aber nicht überfüllt. Jeder hatte einen Sitzplatz bekommen, niemand stand, insbesondere nicht hinter ihm auf dem Weg nach draußen.

Aber der entscheidende Faktor war das Publikum. In den Kirchengemeinden der Innenstadt wurden die Gottesdienste von gutsituierten, bürgerlichen Familien und Kaufmannswitwen besucht, die nur mäßig bis gerecht spendeten oder im schlimmsten Falle bargeldlos überwiesen. Dagegen war in St. Antonius zumindest noch ansatzweise der Volksglaube der alten Mütterchen, der kleinen Angestellten und Beamten zu Hause: schlicht, ergreifend, naiv, aber spendenfreudig.

Hier, nicht anderswo würde er seinen Schnitt machen. Gelassen ließ er den Gottesdienst über sich ergehen. Bei der Predigt bemerkte er dann wieder dieses Kribbeln im Bauch, diese Unruhe, die ihn hinter jeden wohlgeformten Satz des Priesters in Gedanken ein Amen hinzufügen ließ, das die Predigt beendete, damit die Meßfeier endlich weiterging, sich eilends der Gabenbereitung näherte und damit dem Punkt, auf den es ihm einzig und allein ankam: die Fastenkollekte. Doch die Predigt schien in Vorwegnahme künftiger Zustände Ewigkeiten zu dauern. Irgendwann kam das erlösende Amen, vollkommen überraschend.

Glaubensbekenntnis und Fürbitten waren reine Formsache. Dann stimmte die Gemeinde »Wir weih'n der Erde Gaben, Dir Vater, Brot und Wein« an, und das Weidenkörbchen wanderte von vorne kommend durch die Reihen, langsam von Hand zu Hand, von Bankreihe zu Bankreihe gereicht, direkt auf ihn zu. Er rieb sich die Hände, vor lauter Vorfreude und Nervosität.

Der Kollektant, ein älterer Herr, bemühte sich, weit entfernt im Seitenschiff, die etwas lichten Reihen der Gläubigen abzusammeln. Das Körbchen würde seine Reise planmäßig beenden, und zwar bei ihm. Tief atmete er durch und ließ es geschehen. Noch drei Reihen. Wie lautlos es durch die Reihen glitt. Kein Scheppern, keine klingenden Münzen. Das konnte nur eins bedeuten: viele, viele Scheine. Nur noch zwei Reihen. Langsam holte er die Baumwolltasche mit dem Aufdruck »KJG - Viele kleine Leute, die viele kleine Schritte tun« hervor.

Dann war der Klingelbeutel am anderen Ende der Kirchenbank, in der er neben fünf Gläubigen saß, angelangt und kam langsam aber stetig auf ihn zu. Seine Nachbarin, eine alte Frau, nestelte aus ihrer Handtasche eine Opfertüte hervor, um sie mit großer Mühe in dem übervollen Opferkörbchen unterzubringen; endlich reichte sie das Körbchen an ihn weiter. Er hielt es in beiden Händen, und im gleichen Moment war er ganz ruhig und gelassen, selig und friedfertig, trat aus der Bank heraus, verneigte sich in Richtung Altar und ging würdevoll, langsam und ohne äußere oder innere Hast auf den Ausgang zu.

Doch hatte die Vorsehung zwischen ihn und den Ausgang ein Hindernis gestellt, einen massigen, vierschrötigen Mann, der ihn mit ruhiger Gelassenheit anblickte, als schätzte er gerade ab, wie sehr er Kracht körperlich überlegen war. Verdammt! Hatte Kracht den Bogen überspannt, war er doch nicht so geschickt gewesen, wie er es von sich glaubte? War man auf den Fremden im linken Seitenschiff in St. Antonius vorbereitet? Er starrte auf den massigen Mann,

der sich zwischen ihn und die rettende Ausgangstür geschoben hatte. Kracht fiel die Hamburger Pleite ein, seine angebrochene Rippe. Einer plötzlichen Eingebung folgend - welcher Ort wäre dazu geeigneter als eine Kirche - handelte er, spontan und ohne nachzudenken. Er ging direkt auf den Türsteher zu, hielt ihm den Opferkorb unter die Nase und wartete - und sein Warten wurde belohnt. Der so überfallene Kirchensteher befreite einen Zwanzigmarkschein aus seinem Portemonnaie und steckte das Geld in den überquellenden Opferkorb. Erleichtert atmete Kracht auf und stellte sich links neben den Mann, nunmehr weniger als einen Meter von der Ausgangstür entfernt, als erwarte er vom Altar noch ein geheimes Zeichen. Als dieses anscheinend kam, verneigte er sich erneut in Richtung Altar und verließ die Kirche. Langsam und würdevoll.

Draußen hatte er es plötzlich sehr eilig. Eilends schob er den Weidenkorb in die Baumwolltasche und rannte, so schnell er konnte, davon. Unnötigerweise, denn es gab niemanden, der ihn verfolgte. In St. Antonius hatte man noch gar nicht begriffen, was mit dem Großteil der diesjährigen Fastenkollekte geschehen war....

Ströcker: Die tausend Regeln des Detektivs K.                            Ströcker: Ritter, Zwerg & Tod
 

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