Jutta Dornheim

Unsterblich sterblich
Gedichte

96 S.  ISBN  978-3-920591-82-7
€ 10,-

Bestelladresse: neues-literaturkontor@t-online.de

 


Sir Henry’s bräute

’der erste schnee auf meiner liebsten grab.
nie wird er ihren kalten mund berühren
nie wird sie seine feuchten küsse spüren
nie wird es sein, daß Lily es nie gab.’

der weltgeist feixt. Sir Henry's rätestab
gelobt der liebe feuer stets zu schüren
doch läßt ein weltgeist sich davon nicht rühren.
Sir Henry ahnt es, reitet fort im trab.

im nächsten jahr ritt Henry schon nicht mehr
allein, Miss Mary schmiegt sich tief in seinen arm.
und später zupften beide sommerklee

von Lily’s grab und tranken wein, der schwer
sie traf auf ihrer wirtin stroh, so dicht und warm.
im nächsten winter fiel nicht mal mehr schnee.

 


 

Wie Poesie eine Verbindung mit philosophischem Denken eingehen kann, zeigt Jutta Dornheim in ihrem zweitem Gedichtband. Vom Sonett bis zum Aphoristischen reicht die Formenvielfalt, mit der die Autorin menschliche Erfahrungen und Begegnungen transzendiert. So wird das jeweils Geschehene, das Konkrete “nach-gesonnen und nach-gesponnen“, wie zum Beispiel mit Bezug auf Theodor W. Adorno:

hier irrte der große A.:
das leben ist nicht beschädigt
jeder nachdenkversuch
vergeblich.
denn unauffindbar ist
worüber noch
nachzudenken wäre.
 

Neben der für Lyrik konstitutiven Beschäftigung mit dem Menschlichen und Erlebnishaften, neben sozial Einfühlsamem und politisch Unkorrektem findet sich bei Dornheim Historisches und Sagenhaftes, das schönsprachig neuen Zauber und Sinn erhält.

wo meer und land sich ineinander flüchten
da gleißt im morgenlicht der nonne diadem
so bräutlich hell und jungem blick genehm
es scheint gemacht aus stoff wie dem zum dichten.
 
 

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