Nichts passiert

Roman von Carola Zechert

176 S.  ISBN  978-3-920591-67-4
  € 10,- 


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»Es sollte brennen. Überfließen. Es sollte soviel sein, daß man es verschwenden konnte. Daß man sich nicht dauernd ängstlich fragen mußte, wie lange es wohl reichen würde. Sie öffnete die Augen und legte die Hände an die Wangen. Ihr Gesicht fühlte sich heiß an, und in ihrem Kopf drehte sich alles

So, stellt Karen sich vor, müßte die Liebe sein. Doch es entwickelt sich eine Geschichte, die zunächst weder romantisch noch leidenschaftlich ist, sondern realistisch und ehrlich. Eine Geschichte, die sie und den Leser zwingt, unruhig zu werden.

Carola Zechert hat 1996 unter ihrem Namen Carola Schmidt den "Fall Heydemann" verfaßt und damit gezeigt, daß ein Kriminalroman wirklich literarisch sein kann und durchaus in einer schönen Sprache geschrieben werden kann.

Daß auch in diesem Roman die ausgewogene schöne Sprache überzeugt und diese Liebesgeschichte weit mehr ist als die Idee von zwei Menschen, die sich trotz innerer und äußerer Turbulenzen langsam aufeinander zubewegen, ist das Besondere in "Nichts passiert" .
 

*

Leseprobe
 

Sie nahmen den schmalen Weg, der am Museum vorbei zum Weiher hinunterführte. Die Laternen rund um das Wasser leuchteten weiß, und weiter hinten sah man das Lichtband entlang der Straße.

Sie war überrascht, wie dicht der Verkehr um diese Zeit noch war. Und auch am Weiher waren noch Leute unterwegs, schwarze Figuren, die sich für einen Augenblick aus dem Dunkel ihrer Umgebung lösten und dann wieder darin verschwanden.

Sie gingen am Museum entlang und um den Weiher herum. Als sie ihn fast umrundet hatten, blieb Thilo stehen. Er trat auf eine der großen flachen Stufen, die an dieser Stelle bis ans Wasser führten, und setzte sich. Sie stellte sich neben ihn, stützte die Hände auf die Hüften und schaute über den Teich zur Straße hinüber.

Auch hier war plötzlich der Geruch von frisch geschnittenem Gras in der Luft. Süß und scharf. Und die Geräusche der Grillen. Ihr Zirpen wogte auf und ab wie ein Getreidefeld, über das der Wind strich.

»Es kühlt gar nicht ab«, sagte sie. Etwas schnürte ihr fast den Hals zu und machte das Sprechen mühsam.

Karen zog ihre Jacke aus, und dann setzte sie sich neben Thilo auf die Stufe. So nah, daß sie ihn fast berührte. Aber nicht ganz.

Er zog seinen Tabak aus der Tasche seiner Jeans und rutschte dabei näher an sie heran. Zwei oder drei Zentimeter. Sein Oberschenkel berührte ihren Oberschenkel. Er nahm ihn nicht weg, während er mit dem Tabak beschäftigt war. Als er die Zigarette angezündet hatte, legte er die Hand auf sein Knie. Sein Arm drückte leicht gegen ihren Arm. Er fühlte sich warm an, und seine Härchen kitzelten ihre Haut.

Sie streckte die Hand aus und berührte seinen Handrücken. Der Nagel seines Ringfingers war schief geschnitten. Ihre Haut war viel heller als seine. Sie schaute ihren Fingern dabei zu, wie sie die Linie der Adern auf seiner Hand entlangtasteten.

Er ließ die Zigarette fallen und wandte sich zu ihr. Faßte ihre Hand, drehte sie um und bog sanft ihre Finger auseinander. Er beugte den Kopf, so daß sie nur noch sein dunkles Haar sah, und strich mit den Lippen über die Innenfläche ihrer Hand und über ihre Finger. Ganz langsam, bis an die Spitze und wieder zurück.

Sie konnte sich nicht erinnern, vorher jemals so berührt worden zu sein. Es war nicht nur die Hand, die Finger. Es war noch eine andere Stelle, etwas an ihr, von dem sie nicht gewußt hatte, daß sie dort berührt werden konnte. Es war so schön, daß es wehtat.

Sie sah auf seinen dunklen Kopf, und dann legte sie ihr Gesicht an sein Haar. Es war genauso weich wie in ihrer Erinnerung und roch nach kaltem Rauch. Und nach Seife.

Er legte die Hände an ihre Wangen und fing an, sie zu küssen. Seine Küsse waren hastig. Und gierig. Seine Lippen fühlten sich warm und hart an, und sein Mund schmeckte nach Rauch und noch etwas anderem, und seine Finger gruben sich in ihre Haare, preßten sich gegen ihre Haut, drückten ihr Gesicht gegen seines. Sie versuchte sich frei zu machen, und als er es merkte, ließ er sie los. Er atmete schwer und sah beschämt aus, und sofort tat es ihr leid.

»Entschuldige«, murmelte er.

Sie faßte nach seiner Hand. »Du mußt dich nicht entschuldigen

»War ich nicht zu grob

»Nein.« Sie drückte seine Finger, lächelte ihn an.

Er zog sie auf seinen Schoß, und sie legte die Arme um seinen Hals und drückte wieder ihr Gesicht in seine Haare. Seit sie wußte, daß sie in ihn verliebt war, hatte sie das tun wollen. Und jetzt konnte sie es...
 

....
 

In den teuren, großbürgerlichen Vororten lebten die Leute mit viel Abstand und hohen Mauern, mit Überwachungskameras und Hinweisschildern auf Wachhunde und Alarmanlagen. Je größer die Häuser waren, desto abweisender und einschüchternder wirkten sie. Und je breiter die Straßen waren, desto leerer lagen sie da. Es gab keine Geschäfte. Es gab auch keinen Verkehr. Keine Fußgänger auf der Straße. Nur das große gepflegte Nichts.

Sie stellte ihr Rad im Vorgarten ab, klingelte und drückte die schwere Eichentür auf, als der Summer ertönte.

Das Treppenhaus roch nach frischer Lackfarbe und Seifenlauge. Alles war weiß: weiße Wände, weißlackierte Holzpaneele, weißlackiertes Treppengeländer, weiße Wandlampen. Und in der Wohnung, die sie jetzt betrat, ging es so weiter. Eine blendendweiße Diele mit weißgrauem Marmorfußboden. Sie war groß und bis auf einen Garderobenständer aus Chrom und eine Palme in einem weißen Übertopf leer. Am Garderobenständer hingen nur ein grüner Mantel und ein Strohhut.

Frau Brandi war perfekt geschminkt, wie üblich, und die langen blonden Haare fielen ihr weich über die Schultern. Trotzdem sah Karen Schatten unter ihren Augen und einen angestrengten Zug um ihren Mund, der sonst nicht dagewesen war. Zum ersten Mal bemerkte sie, wie jung das Gesicht unter der Schminke noch war. War sie wirklich schon Dreißig? Im Moment wirkte sie jung und erschöpft und weit weniger selbstsicher als üblich, und sie tat ihr plötzlich leid.

Sie bat Karen in das Zimmer, in dem sie bei ihren früheren Besuchen schon gesessen hatten. Ein heller, hoher Raum mit Stuckdecke und Parkettboden, in dessen Mitte ein ovaler Biedermeiertisch mit vier passenden Stühlen stand. Auf dem Tisch lag eine blütenweiße Decke, auf der Teegeschirr gedeckt war. In der Mitte stand eine große Kristallvase mit weißen Lilien.

»Der Tee fehlt noch«, sagte Frau Brandi und verschwand.

Karen setzte sich auf einen der Stühle, streckte ihre Beine aus und betrachtete die weißen Lilien. Friedhofsblumen. Wächsern und auf fast künstliche Weise perfekt. Nur der Geruch verriet, daß sie echt waren. Ein schwerer, süßer Gestank, der alles andere erschlug.

Die Bilder an den Wänden waren große zartfarbige Aquarelle in teuren Aluminiumrahmen. Nicht schlecht und nicht gut. Man vergaß sie sofort wieder.

Sie stand auf, verließ das Zimmer und fragte Frau Brandi nach der Toilette.

Die Toilette bestand ganz aus Marmor. Der gleiche grauweiße Marmor wie in der Diele. Marmor auf dem Fußboden, Marmor bis an die Decke. Auf dem großen Spiegel hinter dem Waschbecken war nicht der kleinste Wasserspritzer zu sehen, ebenso wenig wie auf den Armaturen. Auf einer kleinen Konsole neben dem Waschbecken waren Gästehandtücher säuberlich aufgestapelt. In der Seifenschale lag ein neues Stück Seife.

Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, sah der kleine Raum irgendwie verwüstet aus. Die Versuchung, die Wasserflecken von der Armatur zu wischen und das Stück Seife abzuspülen und abzutrocknen, war fast unwiderstehlich. Sie legte das gebrauchte Handtuch über den Rand des Waschbeckens, weil es keinen Handtuchhaken gab.

Als sie an der offenen Küchentür vorbeikam, sah sie Frau Brandi an dem kleinen Frühstücksplatz am Fenster sitzen. Sie war noch blasser als vorhin.
 

Carola Schmidt (Zechert): Der Fall Heydemann

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