Wolfgang Korfmacher
Butengoor
Novelle
ISBN 978-3-920591-97-1, 80 Seiten, € 10,-
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In einer durch Moore, Wiesen
und Kiefernwälder geprägten Landschaft im niederländischen Grenzgebiet treffen
in einem alten, abgelegenen Landhaus namens Butengoor vier Menschen zusammen.
Thema der Erzählung ist Einsamkeit: die freiwillige Einsamkeit, die Versuche,
ihr zu entkommen, und die Resignation, ihr nicht entkommen zu können.
Wolfgang Korfmacher hat eine
Sommergeschichte geschrieben. Atmosphärisch dicht und aus den unterschiedlichen
Perspektiven erzählt er von der kurzen, alles verändernden Begegnung zwischen
Moritz und Nele, Philipp und dessen Vater. Butengoor führt auf seine ganz
eigene Weise die Handlungsstränge zusammen - zu nächtlichen Dramen...
„Alle Eindrücke dieser
Stunden würden mir für immer in Erinnerung bleiben. Nie würde ich sie
abschütteln können...“
Die
Sprache dieser Novelle ist bewußt schlicht und unaufgeregt und vielleicht
gerade deswegen besonders intensiv – ein gelungenes Stück Prosa.
Leseprobe:
Nachmittags fuhren wir durch das
flache Land, über dem die Wolken, die über Holland von der See herankamen, die
Berge bildeten, zu einem Ausflugslokal am Rande des Venns.
Zwischen Äckern, Wiesen und Wäldern gab es hier nur
ein paar Höfe, die in der Mittagshitze wie ausgestorben unter alten Eichen
lagen. Philipp hatte behauptet, auf diesen stillen Höfen herrschten Inzest und
Vatermord.
Dann sprach er erst wieder, als wir auf dem Parkplatz
unter den Bäumen hielten und die Hitze uns beim Aussteigen entgegenschlug:
„Der große Pan ist
tot“, sagte er und grinste.
„Humanistisch
gebildet“, sagte ich. „Alle Achtung.“
„Was redet ihr da?“
fragte Nele.
Keiner von uns antwortete. Philipp stieß mit dem Fuß
Steinchen vor sich her und pfiff vor sich hin. Nele und ich folgten ihm.
Wir saßen unter den schattigen alten Bäumen, tranken
Kaffee, aßen Pflaumenkuchen und schwiegen. Jeder hing seinen Gedanken nach. Nur
wenige Tische waren besetzt. Ein paar Kinder tollten zwischen ihnen herum.
Das Schweigen wurde irgendwann peinlich, fand ich.
Deshalb sagte ich: „Das ist ja ein richtiges Familienidyll hier.“ Philipp
blickte mich spöttisch an, sagte aber nichts.
Es war Nele, die naiv bestätigte: „Oh ja, wir waren
früher oft hier. Als wir klein waren und meine Mutter noch lebte.“
„Stimmt, damals waren wir noch eine Familie.“ Mit
einer gelangweilten Bewegung wischte Philipp ein paar Kuchenkrümel vom Tisch.
Die untergehende Sonne schien ihm ins Gesicht. Ich war
erstaunt über seinen in die Ferne gerichteten Blick.
„Na hör mal“, sagte Nele. „Sind wir das jetzt etwa nicht mehr?“
„Jetzt sind wir nur
noch amputierte Überbleibsel einer Familie.“
Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her.
Zwar war ich neugierig auf das, was nun folgen würde, aber daß ich selbst jetzt
fehl am Platz war, war mir nur zu deutlich bewußt.
„Spinnst du?“ Nele schlug mit der Hand auf den Tisch,
so daß die Kaffeetassen klirrten. Sie war wohl selbst überrascht von der
Heftigkeit ihrer Entgegnung. “Fang bitte nicht wieder damit an!“
„Ich sag doch gar
nichts.“ Philipp grinste sie an.
„Das ist wirklich
eine fixe Idee von dir.“
„Was denn?“
„Du weißt genau, was ich meine. Oma hat mir übrigens
kürzlich noch erzählt, wie schwierig Mutter manchmal war.“
„Oma ist ja auch Vaters Mutter. Außerdem: Wenn hier
jemand schwierig ist, dann doch wohl er.“ Philipp stieß ein verächtliches
Schnauben aus.
„Ich verstehe nicht, warum du dich nicht selbst
erinnern willst. Sie hat es Vater doch wirklich nicht immer leicht gemacht. Das
weißt du so gut wie ich. Ihre ständige Migräne. Immer mußte sie geschont
werden. Wir hatten doch kaum was von ihr.“
„Aber von ihm, was?“
„Ich schon.“
„Ja, du schon. Vaters Töchterchen. Das Nesthäkchen.“
Philipp lachte. Dann fügte er hinzu: „Immerhin war sie todkrank.“
„Aber doch erst im
letzten Jahr.“
„Und warum? Warum
ist sie wohl krank geworden? Was glaubst du denn?“
Nele sah ihn bittend an. „Laß uns aufhören, ja? Das
führt doch zu nichts. Außerdem haben wir Besuch.“ Sie wandte sich mir zu, der
neben ihr saß. „Wir sind schrecklich, was?“
Ich war froh, etwas
sagen zu können. „Ach, wenn ich euch von meiner Familie erzählen würde ...“
Aber niemand
forderte mich dazu auf.
„Kommt, laßt uns noch etwas spazieren gehen. Es ist
nicht mehr so heiß.“ Nele war schon aufgestanden.
*
Wir waren am Abend über die Grenze
nach Enschede gefahren, hatten indonesisch gegessen und waren dann tanzen
gewesen. Als Nele und ich am nächsten Morgen um die Hausecke bogen, kamen wir
in die pralle Sonne. Nele faßte mich am Arm und zog mich auf den Weg, der die
Wiesen entlang führte. Mohnblumen säumten den Weg. Ein Vogel stieg in die Luft.
Dann tat sich der schmale Sandpfad auf, der in den Kiefernwald führte.
Schweigend gingen wir weiter bis zu dem Tümpel am
Rande des Wäldchens, dessen gegenüberliegendes Ufer schon zu Holland gehörte.
Unter einem Hochstand setzten wir uns auf einen umgestürzten Baumstamm.
Ich suchte wieder nach einem Gesprächsthema, aber es
wollte mir nichts einfallen. Ich ärgerte mich über meine Verlegenheit, die mich
einfach still da sitzen und schweigen ließ. Eine blaue Libelle flog vorüber,
und ich wandte meinen Blick auf die dunkle Wasserfläche vor mir, auf die
tanzenden Mückenschwärme im Sonnenlicht.
Nele beobachtete mich. Dann rückte sie näher und
unsere Schultern berührten sich. Wie schmal ihr Handgelenk war! Ich nahm es und
näherte mich ihm mit meinem Mund.
Sie stand auf:
„Komm, laß uns schwimmen.“
Sie zog ihr T-Shirt über den Kopf, streifte Jeans und
Slip ab und ließ sich ins Wasser gleiten. Ich folgte ihr, nachdem ich mich
ausgezogen hatte. Die Badehose hatte ich vorsorglich schon in meinem Zimmer
angezogen.
Prustend stiegen wir wieder an Land. Nele schüttete
ihr Haar aus. Dann trat sie dicht an mich heran, um sich umarmen zu lassen, und
schaute mich dabei fragend an. Sie tat mir leid und dann war ich auch etwas
erregt von der Schönheit dieses vom Wasser glänzenden Körpers und von der
Hitze, die zwischen den Kiefern stand. Ich drückte meine Lippen auf ihren halb
geöffneten Mund und nahm ihre Schultern in die Hände.
Sie lachte, warf sich ins Gras und streckte die Arme
aus. Ich zögerte einen Moment, dann ließ ich mich neben ihr nieder. Sie zog
mich an den Haaren und rieb sich wie eine Katze an mir, aber ich konnte nichts
anderes tun als sie flüchtig zu streicheln.
Nach einer Weile legte sie den Kopf auf meine Brust
und lauschte dem Schlag meines Herzens. „Ich fühle mich wohl bei dir“, sagte
sie. Ich brachte nur ein dummes Ja hervor.
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